Betrachtungen zum Gemeinderatsantrag für einen Zivileinsatz der Linzer Stadtwache gegen BettlerInnen
Seit 2001 untersuchen WissenschaftlerInnen aus Deutschland in einer Langzeitstudie mit dem Namen Deutsche Zustände die Ausmaße, Entwicklungen und Ursachen von Vorurteilen. Das Ergebnis ihrer Forschung sehen sie in einer bedenklichen Zunahme „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ und in einem „kulturlosen und verrohenden Bürgertum“.
Der Dringlichkeitsantrag der ÖVP bei der Linzer Gemeinderatssitzung am 23.Mai 2013 hat diese Analyse leider einmal mehr bestätigt. Die Linzer Schwarzen forderten Bürgermeister Dobusch auf seine Weisung zurückzunehmen und Stadtwache-Operationen ohne Uniform wieder zu erlauben. (siehe Faksimile rechts) Zielgruppe dieser Zivilkontrollen sollten die BettlerInnen vornehmlich aus Südosteuropa sein. Der Linzer Gemeinderat lehnte die Forderung der ÖVP jedoch mit einer Mehrheit aus SPÖ, Grüne und KPÖ ab. Die SPÖ argumentierte damit, dass es nie einen Auftrag für Observationen in Zivil gegeben hat und die Uniformen einen festen Bestandteil der Stadtwsche darstellen. Grüne und KPÖ sind ohnehin gegen die Stadtwache, ihre Ablehnung war deshalb vorhersehbar.
Populistischer Wettlauf mit der FPÖ
Bezeichnend an solchen Debatten, die sich um das Thema Kriminalität, Innere Sicherheit und Migration drehen, ist die Rolle der Linzer Stadtbürgerlichen. Seit der letzten Gemeinderatswahl im Jahr 2009 findet anscheinend eine Auseinandersetzung mit der Rechtsaußenpartei FPÖ um die Themenführerschaft auf diesem Gebiet statt. Die Argumentationsmuster und Statements unterscheiden sich kaum mehr. Es findet ein erschreckender Populismus-Wettstreit zwischen den beiden Parteien statt. Wer versucht dieser autoritären Mischung aus Kontrollieren, Vertreiben und Strafen mit kritischen Argumenten zu begegnen, bekommt von FPÖ wie auch ÖVP nur aggressive Selbstgewissheit zu spüren. Nach dem Motto: Je kühler und unmenschlicher die Forderungen, umso forscher und herablassender das Eintreten. Eine rationale, sachliche Diskussion auch über die negativen Folgen einer solchen Sichtweise geht im emotionalen Eifer unter – so geschehen auch bei der Gemeinderatssitzung am 23. Mai.
Ruf nach repressiven Maßnahmen
Die Konstruktion von Feind- und Drohbildern spielt dabei eine bedeutende Rolle. Menschen aus Süd- und Osteuropa, die hier betteln, sind nicht in erster Linie arm, sondern entweder sie selbst oder die „Hintermänner“ kriminell. Sie werden als „skrupellos“ und „organisiert“ etikettiert. Die Medien unterstützen und reproduzieren diese Bilder. Die Beifügung „Bande“ oder „Mafia“ gehört auch in den Zeitungen zur Normalität. Journalistische Sorgfaltspflicht und Verantwortung, z.B. Behauptungen und Meinungen zu überprüfen und differenzierter zu betrachten, haben keine Chance. Ist ein bestimmtes Bild einmal gezeichnet, fordern Medien dann meist genauso wie die „Law and Order“-Politik Taten. Eine ängstliche Öffentlichkeit will, dass hier und jetzt etwas geschieht. Die Konsequenz daraus: Es darf und kann kein Erbarmen für bestimmte Menschengruppen geben. Und jedeR der/die sich dieser Politik in den Weg stellt, will Böses für die Menschen bzw. zumindest für die Mehrheit, in deren Namen sich in Parteien und Redaktionen gesorgt wird. Genau so funktionieren aber auch moderne Faschismen: In der emotionalen Spaltung und Gegeneinanderführung werden die Ärmsten, Schwächsten und Fremdesten zur Bedrohung hochstilisiert, während eine solche Form der Herrschaft im Namen der „Guten“ aus dem „einfachen Volk“ spricht. Wer da nicht mitmacht und kritische Fragen stellt, ist gegen „das Volk“, für Kriminalität oder lässt sie zumindest zu – ist also tatenlos, naiv und schwach.
Zerstörerische Wirkungen für eine humane und tolerante Gesellschaft
Die MacherInnen der Studie „Deutsche Zustände“ stellen fest, dass vor allem die mittleren bis höheren Schichten der Gesellschaft in Zeiten der Verunsicherung die Solidarität mit den unteren Klassen aufkündigen und auf Ellbogenmentalität umschalten; dass also die bisherige tolerante Bürgerlichkeit durch eine „rohe“ ersetzt wird:
„Diese rohe Bürgerlichkeit lässt sich in ihrer Selbstgewissheit nicht stören: Die Würde bestimmter Menschen und die Gleichwertigkeit von Gruppen sind antastbar.“
Und sie kommen zum besorgniserregenden Schluss:
„Eine auf längere Sicht zerstörerische Entwicklung sowohl für Individuen als auch für eine liberale und humane Gesellschaft ist dann gegeben, wenn sich menschenfeindliche Einstellungen und Verhaltensweisen zeigen [ … ] Menschenfeindlichkeit wird erkennbar in der Betonung von Ungleichwertigkeit und der Verletzung von Integrität.“
Kultur der Solidarität statt der Kontrolle
Die populistischen Forderungen nach mehr Kontrolle und die Betonung der Ungleichheit findet vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Individualisierung der Gesellschaft statt. Der Kriminalitäts- und Sicherheitsdiskurs zeigt anschaulich diese Entwicklung, in dem sowohl die Beschreibungen und Erklärungen der Opfer- als auch die der Täterseite individualisiert werden. Bei den Tätern wird nicht nach den möglichen Ursachen noch nach Möglichkeiten einer Beseitigung oder Veränderung gefragt, sondern Kriminalität wird allein zur individuellen Entscheidung für das Unrecht und gegen das Recht erklärt. Aber auch die Identifizierung mit dem Opfer und die Forderung nach harten Vergeltungs- und Strafmaßnahmen folgt einer weitgehend individualisierten Sicht. Solidarität, Austausch und kollektive moralische Empörung funktionieren in einer hochgradig mobilen, individualisierten und entsolidarisierten Gesellschaft viel zu oft nur mehr über die individuelle Identifikation mit individuellen Schicksalen. Das Leiden des Kriminalitätsopfers steht sinnbildlich dafür. Die instrumentalisierenden und inhumanen Diskurse der Rechten und zum Großteil auch der Medien stellen zumindest das Gefühl der Gemeinsamkeit auf Kosten der Freiheit, Solidarität und Menschenrechte wieder her. Diese für Gesellschaften elementaren Werte hingegen zu schützen und zu verteidigen, sowie Möglichkeiten einer gemeinsamen, wechselseitigen und menschenwürdigen Kommunikation über den emotionalen Affekt hinaus zu schaffen, ist die andere – unsere – Antwort.